Woher nimmt man die Stärke, um Krisen zu überstehen? Wie behält man sein Lachen, wenn das Leben den Humor verliert? Fragt man Patricia Kelly, kommt die Antwort ohne das leiseste Zögern: «Meine Kraftquelle ist die Liebe. Die meines Ehemannes, meiner Kinder, meiner grossen Familie; mein Glaube und meine Songs.» Von dieser unerschöpflichen Ressource berichtet sie auf ihrem neuen Album «UNBREAKABLE», das während der vergangenen anderthalb Jahre entstanden ist. Köbi Bleiker im Gespräch mit Patricia Kelly.

Als drittälteste Tochter der ehemals berühmtesten Familien-Band der Welt, der «The Kelly Family», bist du im Kreise deiner sehr erfolgreichen Familie weltweit schon als junges Mädchen auf der grossen Bühne gestanden. Hilft dir diese lange Zeit, «eingebettet» in der grossen Band, auch für deine heutige Solo-Karriere? Die ganze Verantwortung für dein Tun liegt nun auf deiner Schulter. Kannst du damit gut umgehen?

Natürlich hilft mir die jahrelange Erfahrung, die tausende Konzerte, die wir in verschiedenen Ländern gegeben haben, von kleinen bis zu riesigen Konzerten. Allerdings sind es zwei Paar Schuhe und ich musste mich dran gewöhnen alleine auf der Bühne zu stehen und die Show alleine zu tragen. Das war eine neue Erfahrung für mich. Inzwischen bin ich aber auch Solo ein «alter Hase» und erfolgreiche Tourneen hinter mir. Es ist aber immer noch eine Herausforderung für mich. Ich bin ein sensibler Mensch und vor jedem Auftritt aufgeregt. Man sagt mir, dass das gut wäre, weil es zeigt, dass mir nicht egal ist, was an dem Abend auf der Bühne passiert. Es ist mir immer wichtig, mein Bestes zu geben, denn das Publikum nimmt sich die Zeit, bezahlt Geld für das Ticket. Ich möchte, dass sie nach Hause fahren und sagen: Das war ein toller Abend. Das ist mir wichtig. Es ist eine Freude zu sehen, wie Menschen von meiner Musik berührt werden, wie vielleicht jemand im Publikum weint oder lacht. Dann weiß ich, dass ich meinen Job richtig gemacht habe. Aber es ist insgesamt schon eine andere Verantwortung. Wenn man krank wird, überlegt man sich dreimal, ob man das Konzert absagt oder sich mit Ibus vollpumpt. Mit den Geschwistern auf Tour ist das natürlich einfacher, weil dann vielleicht mal ein anderer deinen Part bei einem Song übernehmen kann. Solo ist man voll im Fokus und muss volle Leistung geben, hat sehr viel Verantwortung. Nicht nur dem Team unterwegs oder dem Publikum gegenüber, sondern auch Partnern wie Veranstalter oder Plattenfrma. Damit musste ich lernen umzugehen und lerne es noch immer.

Ich will gar nicht erst auf deine nun zurückliegenden, schwer zu verkraftende Jahre eingehen, wo du gesundheitliche und zwischenmenschliche Schicksalsschläge hinnehmen und verarbeiten musstest. Unter www.universal-music.de/patricia-kelly/biografe ist das sehr einfühlsam und gut nachzulesen. Wenn du heute auf die Bühne gehst, hast du vor einem Auftritt ein besonderes Ritual oder gehst du losgelöst von der Vergangenheit mit freudiger Erwartung als Powerfrau auf die Bühne?

Man wird es nicht glauben, aber so sehr icn auf der Bühne Powerfrau sein mag, desto ängstlicher bin ich vor der Show. Ich bin sehr, sehr aufgeregt und klein wie eine Maus. Einmal auf der Bühne, verschwindet das meistens. Ich habe das für mich so akzeptiert, dass es wohl meine Natur ist und sich nicht ändern wird. Ich bin ein großer Fan von Adele und war erleichtert, als ich hörte, dass sie die gleichen Probleme hat. Ich bin also nicht die einzige… Ich gehe vor jedem Konzert auf die Knie und bete. Jeder geht aus dem Zimmer und das ist ein Moment alleine zwischen mir und Gott. Ich lege alles in seine Hände und bete um Kraft und dass ich die Herzen der Menschen berühren kann mit meiner Musik. Ich habe immer Fotos meines Mannes und meiner Kinder dabei, aber auch meiner Mama, Jesus und Maria. Die sind immer bei mir und begleiten mich auf Tour.

1917-1919 das grosse Revival der Kelly Family. Du warst dabei, auch bei der Auszeichnung respektive der Verleihung der «goldenen Henne». Nicht dabei: Paddy und Maite Kelly, die schon länger an ihrer Solo-Karriere arbeiten. Kelly Family war als Familienband ein absoluter Begriff und ein echter Publkumsmagnet. Mit dir sind nun 3 der bekanntesten Mitglieder mit einem Solo-Programm unterwegs. Zusätzlich Angelo als Angelo Kelly & Family, dh. mit seiner eigenen Familie. Keine Angst, dass es besonders in der Zukunft für eine Solo-Karriere sehr steinig werden könnte? War das ein Grund für den Ausstieg? Oder hat dich etwas anderes bewegt?

Ich bin ein festes Mitglied der Kelly Family und werde es auch immer sein. Das geht beides parallel, weil die Kelly Family nicht jedes Jahr auf Tour geht. Ich liebe und brauche beides. Ich war bei jeder Konstellation der Kelly Family dabei und werde immer dabei sein. Ich bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben und stolz auf jedes einzelne meiner Geschwister. Wir alle sind harte Arbeiter und haben das große Glück, dass wir nach 45 Jahren Kelly Family erfolgreich singen können. Das ist ein großer Segen für Künstler und das bin ich mir sehr bewusst. Aber mir ist auch mein Solo genauso wichtig und ich gehe beidem sehr gerne nach.

Anfangs 2022 erscheint dein neues «Album». «Unbreakable» heisst die CD. Englisch gesungene Songs vom Feinsten. In der Art deines letzten Albums, «One More Year» oder hast du NEUES einfiessen lassen?

Die Songs sind defnitiv angeknüpft an mein letztes Album «One More Year», also hochwertige internationale Pop-Musik mit den besten Songwritern und Producers aus London und Los Angeles. Mir war wichtig, weiterhin als Songwriterin und Sängerin zu wachsen. So habe ich dieses Mal gewagt, Neues zu machen und habe zum Beispiel den Song «Venga Chica» geschrieben, der halb Englisch und halb Spanisch ist, ein rich-tiger Partysong im Samba-Rhythmus. Ich dachte mir, mach mal was Neues, etwas Verrücktes. Ich hatte so viel Spaß daran. Außerdem habe ich Daniel Powter gefragt, ob er ein Featuring machen würde und er war sofort dabei. Ihn habe ich bei einer Songwriting-Session kennengelernt und wir haben gemeinsam «Brave» geschrieben. Es hat sofort super geklappt und haben nun diesen tollen Song. Ich bin sehr froh, ihn für ein Featuring gewonnen zu haben. Ganz wichtig, ich hatte die Situation, dass im März einer meiner Songwriter kurzfristig ausfel. Das war eine gute Gelegenheit meinen Sohn Iggi zu fragen, ob wir nicht gemeinsam etwas versuchen wollen. Er ist ebenfalls ein erfolgreicher Songwriter und hat bereits mit 16 einen Publishing-Vertrag bekommen. Seitdem reist er von Studio zu Studio. Ich wusste aber nicht, ob wir als Mutter und Sohn zusammen gut schreiben können, ob unsere Stile passen. Aber wir haben sofort gemerkt, wir passen super zusammen. So ist auch «Doll» direkt zu einem Sin-gle-Kandidaten geworden. Wir hatten richtig viel Spaß beim Schreiben und am Ende sind es sogar mehrere Songs geworden, die nun auf dem neuen Album veröffentlicht werden. Das war ein Zufall und nicht geplant, aber eine große Überraschung nicht nur für uns, sondern auch für die Plattenfrma, die die Songs ganz toll fand. Sie wussten übrigens nicht, dass die Songs von mir und Iggi stammen, sondern wurden nach Qualität ausgewählt.

Ich bin froh für die gesamte Branche, dass die Corona-Pandemie sich langsam dem Ende zu bewegt. Es scheint, dass 2022 endlich die Ver anstalter aber auch die Künstler und Bands wieder aufatmen dürfen. Seit September 21 bist Du auf grosser, sehr erfolgreicher Solo-Tour. Endlich, darf man sagen, aber mit vielen Corona-Einschränkungen, Vorschriften, Hürden etc., die es immer noch verunmöglichen, von gewinnbringenden Anlässen zu sprechen. Doch wie erwähnt, Corona neigt sich hoffentlich dem Ende zu und die vielen Vorschriften werden längerfristig aufgehoben. Dann kommen wir der Normalität wieder ein Stück näher. Wie hast du die lange Zeit ohne Konzerte überbrückt?

In der Tat scheint ein Licht am Ende des Tunnels zu sein. Trotzdem war und ist es nach wie vor eine schwere Zeit für unsere Branche. Alles ist anders und keiner weiß genau, wie es weitergeht. Die Konzerte, die ich spielen konnte, waren großartig. Allerdings war es auch ein großer Flickenteppich: In manchen Städten musste das Publikum die ganze Zeit Maske tragen, in anderen wiederum nicht. Es war alles sehr anders und auch gewöhnungsbedürftig. Ich befürchte, es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir Künstler unseren Platz gefunden haben auf diesem Weg. Es ist sicherlich nach wie vor nicht einfach und ich glaube, es wird noch lange Zeiten brauchen, zurück zur Normalität. Ich habe die Zeit ohne Konzerte genutzt, um Songs zu schreiben, meistens über Zoom oder zuhause mit Iggi. Ich habe aber auch viel Zeit mit meiner Familie verbracht, meinem Mann und meinen Kindern. Ich hatte plötzlich Zeit, einfach rauszugehen und mit meinen Freunden Zeit zu verbringen. Meistens bin ich so beschäftigt, dass wir öfter telefonieren, als uns zu sehen. Und ich habe tatsächlich Zeit gefunden, Netfix zu schauen. Eine neue Erfahrung für mich. Allerdings auch eine gefährliche, weil ich einfach nicht aufhören konnte, Serien zu schauen.

Du sprichst sehr viele Sprachen. Zum Glück bist du Sängerin und nicht Dolmetscherin geworden. Du schreibst und komponierst fast alle deine Lieder selbst. Ist das auch der Grund, dass du bei der Interpretation deiner Lieder deine Gefühle einfiessen lässt? Ich habe zumindest das Gefühl, dass beim Hören deiner CD’s die Lieder voll aus deinem Innersten kommen? Ist das eine deiner besonderen Stärken?

Ich spreche vier Sprachen fießend und zwei so halbwegs. Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch fießend. Italienisch und Holländisch konnte ich als Kind wirklich fießend, aber mir fehlt die Übung. Vielleicht kann ich die nochmal auffrischen, wenn ich in Rente bin. Ich kann mich verständigen, aber mehr nicht mehr. Meine Songs kommen alle immer aus meinem Innersten. Manchmal ist das ein gewaltiger Prozess und ich bin erschöpft nach dem Songschreiben. Es ist oft sehr emotional und ich muss weinen. Ich bin manchmal erstaunt, dass die Menschen nicht dahinter kommen, über was ich schreibe und meine Geheimnisse lüfte. Songwriting ist für mich ein Muss und ich könnte mir nicht vorstellen, nur als Sängerin auf der Bühne zu stehen. Mir geht es um die Sache, also den Song. Ich glaube schon, dass das eine Stärke ist und die Menschen spüren, dass es echt und authentisch ist und ich mich ihnen öffne. Ich denke schon, dass es sie erreicht.

Als Family-Band hattet ihr ganz andere Bühnenkleider. Als Solo-Künstlerin legt man viel Wert auf ein spezielles Outft. Lässt du dich beraten? Kannst du darüber selbst entscheiden? Entwirfst du diese Kleider selbst?

Ich wähle natürlich meine eigenen Kleider, da hat keiner ausser mir etwas zu sagen. Ich lasse mich aber gerne beraten und habe eine Stylistin. Ich weiß aber ganz genau, was ich will und vor allem, was ich nicht will. Von Anfang an habe ich darum gebeten, Kleider vorzuschlagen, die meinen Wünschen entsprechen. Ich habe immer mein Ding gemacht und es war für mich als Künstlerin wichtig, dass die Musik im Vordergrund steht. Nicht die Show oder Freizügigkeit. Das ist nicht meine Welt. Ich sehe mich als Künstlerin und nicht als Entertainerin und lege Wert darauf, dass ich schön aussehe auf der Bühne, aber, dass es nicht von der Musik ablenkt. Denn Musik, Songs und Stimme sollen im Vordergrund stehen. Ich möchte Erfolg aufgrund meiner Leistung und nicht, weil ich sexy Kleider trage. Eine Edith Piaf zum Beispiel konnte einfach immer ein schwarzes Kleid tragen, brauchte kein großes Outft oder musste Haut zeigen, trotzdem haben die Menschen sie geliebt. Das fnde ich großartig. Als Frau mag ich es, schön zu sein, aber ich bin auch eine Lady. Manchmal entwerfe ich Kleider mit meiner Stylistin zusammen, sage ihr, was ich mir vorstelle. Das machen wir aber tatsächlich vor allem für die Kleider, die ich bei der Kelly Family trage. Meine Solo-Kleider beziehe ich oftmals aus London. Ich achte schon sehr darauf, dass sich die Outfts bei der Kelly Family, wo ich angepasster bin und meinem Solo-Projekt unterscheiden.

Ist Dein Leben heute spannender als vor 25 Jahren?

Du stellst aber gute Fragen! Ich würde schon sagen, dass mein Leben heute spannender ist. Vor 25 Jahren war ich nicht so erfüllt wie heute. Ich hatte keinen Mann, keine Kinder und war jung. Ich habe mich mehr an den Wünschen der Familie orientiert. Heute kann ich ausleben, was in meinem Herzen ist. Wenn ich auf Kelly Family Tour bin, bin ich natürlich die alte Hippie-Patricia, aber mit meinem Solo-Projekt lebe ich aus, wie ich heute bin. Ich bin working Mom, ich bin Künstlerin und trotzdem habe ich ein erfülltes Privatleben. Das ist natürlich spannend, mit allen Facetten des Lebens. Ich weiß noch, vor 25 Jahren habe ich mich danach gesehnt, meiner großen Liebe zu begegnen, weil das immer etwas war, was mit gefehlt hat. Das ist heute nicht mehr der Fall und somit habe ich berufich doppelt so viel Spaß, weil ich privat aufgefangen werde. Ich komme nach Hause und werde geliebt, so wie ich liebe. Das ist ein ganz wichtiger Ausgleich. Ich bin sehr dankbar, dass mein Solo-Projekt so erfolgreich läuft, ich kann viel reisen, berufich und privat. Manchmal könnte es aber etwas weniger spannend sein, sondern etwas ruhiger…

Du hättest zum Bespiel noch einen Wunsch frei, den du dir gerne erfüllen könntest. Ich meine damit nicht die Gesundheit, welche man immer bei Geburtstagen, Weihnachten oder zum neuen Jahr allen wünscht, sondern ob man gerne eine Weltreise machen, ein exklusives Bild kaufen oder ein Gespräch mit einer interessanten Per sönlichkeit führen möchte. Was wäre dein per sönlicher Wunsch?

Ehrlich gesagt bin ich wunschlos glücklich und dankbar für alles. Sicherlich wäre es schön eine Weltreise zu machen oder Adele zu treffen. Aber ganz ehrlich, ich habe so viel in meinem Leben bekommen, dass es sich nicht gut anfühlt, mehr zu verlangen. Ich glaube wirklich, dass ich momentan wunschlos glücklich bin. Das, was jeden Tag kommt, ist für mich schon sehr spannend und toll und mehr verlange ich nicht vom Leben. Wünschen würde ich mir nur, dass meine Kinder glücklich werden. Sie sind ja noch jung und auf der Suche. Zwar haben sie ihren Weg eingeschlagen, aber um Wurzeln zu schlagen, müssen sie noch reifen. Wenn sie beide glücklich werden, ist das alles, was ich mir wünsche.

Danke Patricia für das Interview. Wir wünschen dir für die Zukunft nur das Beste. Deine Homepage: patricia-kelly.com Hier erfährt man alle Neuigkeiten, Aktivitäten, Konzerte etc. Schaut einfach regelmässig rein, dann verpasst ihr garantiert nichts. PK Ich habe ebenfalls zu danken, ein sehr interessantes Interview mit tollen Fragen. Vielen Dank für den Support. Ohne Journalisten würden die Menschen heute gar nicht wissen, dass ich Musik mache. Also vielen Dank!